Thomas Muhler erreicht bei minus 46 Grad Tuktoyaktuk

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Thomas Muhler erreicht bei minus 46 Grad Tuktoyaktuk

Beitrag von Stefan » 06.03.2006, 21:42

*Dieser kleine Reisebericht wurde uns netterweise zur Verfügung gestellt. Stirnlampe Wilma X leistete beste Dienste bei - 46°C.*



Nach 14 Tagen durch die Eishölle des Yukons und den Northwest Territories in Kanada fuhr der 43-jährige Frankfurter Unternehmer Thomas Muhler völlig verfroren mit seinem Focus Bike in Tuktoyaktuk ein. Unter extrem arktischen Bedingungen ist er 1600 Kilometer von Whitehorse bis nach Tuktoyaktuk (Tuk) geradelt. „Das war die härteste Tour meines Lebens. Hier oben mit dem Fahrrad bei den Eskimos anzukommen ist ein Traum, den ich mir immer verwirklichen wollte. Es war eine qualvolle Tortur hierhin. Noch nie ist ein Mensch hier mit dem Fahrrad hergekommen. Ich kann mein Glück noch gar nicht fassen“, seufzt Thomas Muhler durch seine gefrorene Gesichtsmaske während ihm die Tränen nur so in die Skibrille laufen.

Hinter ihm liegen 220 Kilometer Eisstraße, 746 km Dempster Highway Gravel Road, 474 km Klondike Highway, 160 km auf dem Yukon Trail, 3 kontinentale Wasserscheiden, 2 Ice Bridges (Peel und Mc Kanzie River), 3 Gebirgsketten, 2 Orte mit mehr als 1000 Einwohnern – und das alles zur kältesten Zeit des Jahres.

Ausgerechnet auf der letzten Tagesetappe von 50 Kilometern auf der Eisstraße nach Tuk bestand permanent die Gefahr von Erfrierungen. Denn an diesem Tag fegte der Wind nur so über das zwei Meter dicke Eis des gefrorenen Ozeans, so dass er eine gefühlte Temperatur von minus 46 Grad zu ertragen hatte. Lag sein Stundenschnitt zuvor immer zwischen 12 und 18 km/h, so musste er diesmal sein Bike sogar schieben und benötigte mehr als sechs Stunden für das eisige Schlussstück. Bis minus 30 Grad funktionierte die Temperaturanzeige seines Magellan GPS Gerätes. Aber das Thermometer gab jetzt keine Auskunft mehr über die Kälte. Die Sicht reichte nicht einmal für 500 Meter, das Ziel schien somit in unendlicher Ferne. Wer so jemand wie ihn jemals sehen würde auf Europas Straßen, der müsste ihn ohne weiteres für einen Verbrecher halten: Nur winzige Löcher in seiner Gesichtsmaske, die entzündeten Augen komplett mit einer Skibrille abgedeckt, der ganze Körper und Kopf mit Wärmepacks vollgestopft, jede offene Stelle im Gesicht mit Tape abgeklebt, nur durch das Visier der Blick auf die spiegelglatte Straße. Wenn er die Gesichtsmaske auch nur für einen Moment lüftete, brannte die Kälte wie ein Rasiermesser, das mit schnellem Schnitt quer übers Gesicht gezogen wird. Auf der ganzen Tour hatte Thomas mit den Bronchien zu kämpfen, die starkes Husten bei der eisigen Luft verursachte. Alle zwanzig Minuten musste er die Skibrille und die Maske wechseln, da sich das Eis dann bis ins Innere durchgebohrt hatte. Er schleppte sich so mutterseelenallein wie eine Menschenseele nur sein kann übers Eis. Bei seiner Geschwindigkeit von 8 km/h hörte er lediglich das laute Knirschen von 590 Spikes, die sich pro Sekunde in den gefrorenen Ozean bohrten. „Da ich jeden Tag bis zu acht Liter Flüssigkeit zu mir nehmen musste, hatte ich große Angst vorm Pinkeln auf der Eisstraße. Denn bis ich mich hier aus der mehrschichtigen Winterkleidung gepellt habe, besteht große Gefahr von Erfrierungen. Bei diesen Temperaturen kann es nämlich schon nach 40 Sekunden zu ernsthaften Schäden kommen. Die Kälte findet selbst die kleinste Öffnung in der Kleidung und schleicht sich unaufhaltsam ein. Deshalb musste ich verdammt schnell sein und habe immer nur 20-30 Sekunden offene Flächen riskiert. Es ist kaum zu glauben, aber man kann schon nach fünf Sekunden auf seiner eigenen Pinkelfläche Schlittschuhlaufen“, beschreibt Thomas das kleine menschliche Bedürfnis. In den 14 Tagen bis Tuk fordert die Kälte 10 Kilogramm seines Körpergewichts, da sein Stoffwechsel mit erhöhter Anstrengung die Körpertemperatur zu halten versuchte.

Zum Glück ist Thomas Muhler ohne Erfrierungen davongekommen. Der Lohn für die ganzen Strapazen war ein unvergesslicher Abenteuertrip durch eine der landschaftlich schönsten und bizarrsten Flecken dieser Erde. „Noch nie zuvor in meinen Leben habe ich so intensive Bekanntschaften mit Mutter Natur gemacht“, resümiert Thomas in Tuk. Alleine 36 Stunden hing er in Eagle Plains fest, da der Dempster Highway aufgrund von Schneestürmen mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 100 km/h gesperrt wurde. Eagle Plains befindet sich genau in der Mitte des Dempster Highways, ist der einzig rettende Zufluchtsort für Übernachtungen, Essen und Benzin. Genau hier erlebte er dafür die schönsten Polarlichter seines Lebens. „Besonders die Tierwelt hat mich hier fasziniert.“ In der berühmten Goldgräberstadt Dawson City durfte Thomas Muhler den späteren Sieger des legendären Schlittenhunderennens „Yukon Quest“ Mackey am dortigen Checkpoint persönlich begrüßen und mit ihm ein wenig über Abenteuer sprechen. Aber auch mit drei Luchsen stand Thomas Auge in Auge gegenüber. Lautlos traten die Kumpels aus dem Dickicht. Auf einmal standen sie dort. Der dünne Eishauch ihres Atems umtanzte die Schnauzen, dahinter warteten die Augen. Drei Luchse mit Wohnsitz Yukon hatten sich also mitten auf der Straße vor Thomas aufgebaut – und zehn Meter weiter dachte Thomas Muhler, Kurzhaarfrisur, wolkenloses Gemüt für 360 Tage im Jahr, demzufolge die Verkörperung des Sonnenscheins – dieser Muhler aus Frankfurt, dachte nun über den Frankfurter Zoo nach, wo ein solider Zaun zwischen Mensch und Tier für Sicherheit sorgt.

Und schließlich erlebte Thomas Muhler, der sonst Kinos in Russland plant, sein eigenes Gehirnkino in den schwarzen Nächten des Yukons – Szenen, die nicht existieren. Der Schnee und die Bäume schaffen bei Nacht ein weißes Theater der Illusionen. „Wow! Plötzlich waren sie da. Ganz klar, da standen die Leute. An der Haltestelle ein paar Meter vor mir. Warteten dort auf den Bus. Wo sie hinfahren mochten um diese Zeit? Nur dreihundert Meter noch...Und zack, Zauberei – ein Blinzeln verwandelte die Menschen in stumme Bäume“, schildert Thomas den Spuck.

Mit drei Begeleitfahrzeugen war das achtköpfige Expeditionsteam mit Arzt, Mechaniker, Guide, Teamkapitän, Fotografin und TV-Team aufgebrochen um ans andere Ende der Welt zu gelangen. Sofern es die Temperaturen zuließen hatte das komplette Team sogar draußen in Zelten geschlafen. Die kälteste Nacht unter freiem Himmel wurde mit minus 24 Grad gemessen. Jetzt hat Thomas Muhler nur noch einen Wunsch: “Zurück ins warme Moskau“. Auf die Frage nach einer neuen Abenteueridee antwortet er direkt: „Das Thema Kälte ist jetzt durch für mich. Hier würde ich kein zweites Mal mehr fahren wollen. Ich denke jetzt wäre Südamerika oder Südafrika ein ernsthaftes Thema. Auf jeden Fall möchte ich kurze Hosen tragen können.“



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